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BGH: „Nickelfrei“ bedeutet gänzlich „frei von Nickel“ (Urteil vom 10.04.2014, Az.: I ZR 43/13 – nickelfrei)

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 10.04.2014 (Az.: I ZR 43/13 – nickelfrei) entschieden, dass

ein Lizenzgeber und ein Händler, deren unterschiedliche Tätigkeit sich jeweils auf bestimmte Waren beziehen zwar nicht zwangsläufig Mitbewerber seien, zwischen der Inhaberin eines Patentes, welches die Herstellung von nickelfreiem Edelstahl ermögliche und einer Stahlschmuckhändlerin ein solches aber bestehe, auch wenn diese keine gleichartigen Waren oder Dienstleistungen anbiete, weil das Angebot „nickelfreier“ Edelstahlketten durch die beklagte Schmuckhändlerin die Klägerin in der Vermarktung ihres Patents durch die Vergabe von Unterlizenzen beeinträchtigen könne.

Zudem macht der BGH deutlich, dass als „nickelfrei“ beworbene Schmuckwaren auch tatsächlich komplett „frei von Nickel“ sein müssen.

Sachverhalt

Die Klägerin ist eine Gesellschaft zur Entwicklung und Vermarktung eigener und fremder Schutzrechte. Sie ist seit dem 17.06.2011 Inhaberin des ausschließlichen Nutzungsrechts an dem Europäischen Patent Nr. 2209924 über die „Verwendung eines biokompatiblen Werkstoffes aus Edelmetall mit einer martensitischen Randschicht für Uhren, Uhrenteile und Schmuck“, das die Herstellung von nickelfreiem Edelstahl ermöglicht. Die Klägerin ist berechtigt, ausschließliche Unterlizenzen an diesem Patent zu vergeben. Die beklagte Schmuckhändlerin (Beklagte zu 1), deren Geschäftsführerin die Beklagte zu 2) ist), handelt mit Schmuck. Sie hat im Juni und im Juli 2011 ihrer Internetseite für Edelstahlketten mit der Angabe „nickelfrei“ geworben. Die Klägerin hat zwei dieser Ketten erworben und nach ihrer Darstellung chemisch analysieren lassen. Sie hat die Beklagten sodann mit der Begründung abgemahnt, die Ketten seien nicht nickelfrei, sondern wiesen einen Nickelanteil von 8,438% und 8,397% auf.
Die Klägerin hat beantragt, es den Beklagten unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verbieten, Schmuckwaren mit „nickelfrei“ zu bewerben, sofern Nickel zulegiert wurde. Darüber hinaus hat sie Auskunftserteilung verlangt und die Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten sowie die Freistellung von Abmahnkosten beantragt. Das LG Stuttgart und das OLG Stuttgart haben der Klage stattgegeben (LG Stuttgart, Entscheidung vom 19.06.2012, Az.: 17 O 651/11; OLG Stuttgart, Entscheidung vom 07.02.2013, Az.: 2 U 123/12). Die Revision der Beklagten vor dem Bundesgerichtshof (BGH) ist ebenfalls ohne Erfolg geblieben.

II. Keine hohen Anforderungen an das Bestehen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses


Im entschiedenen Fall war u.a. das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsrechtsverhältnisses streitig. Ein solches hat der BGH hier erwartungsgemäß bejaht, wenn auch mit anderer Begründung als die Vorinstanzen.
Der BGH stellt seit jeher an das Bestehen eines konkreten Wettbewerbsrechtsverhältnisses im Interesse eines wirksamen wettbewerbsrechtlichen Individualschutzes keine hohen Anforderungen.
Die Vorinstanzen hatten angenommen, die Klägerin und die beklagte Schmuckhändlerin stünden in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis, weil beide Parteien gleichartige Waren oder Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchten. Mit dieser Begründung könne ein konkretes Wettbewerbsverhältnis nicht bejaht werden, so der BGH (aaO, Rnn. 23, 26).
Ein Lizenzgeber und ein Händler, deren unterschiedliche Tätigkeit sich jeweils auf bestimmte Waren beziehen seien zwar nicht zwangsläufig Mitbewerber (BGH, aaO, Rn. 29), zwischen der Klägerin und der beklagten Schmuckhändlerin bestehe aber auch wenn sie keine gleichartigen Waren oder Dienstleistungen anbieten ein konkretes Wettbewerbsverhältnis, weil das Angebot „nickelfreier“ Edelstahlketten durch die beklagte Schmuckhändlerin die Klägerin in der Vermarktung ihres Patents durch die Vergabe von Unterlizenzen beeinträchtigen könne (BGH, aaO, Rnn. 31, 35).

III. „Nickelfrei“ verstehen die Kunden als komplett „frei von Nickel“

Der BGH hat die streitgegenständliche Werbung der beklagten Schmuckhändlerin wie die Vorinstanzen als irreführend und damit unlauter angesehen. In dem entschiedenen Fall war aber unstreitig, dass die beworbenen Waren nicht frei von Nickel waren. Die Klägerin hatte in diesem Fall zwei der Ketten erworben und nach ihrer Darstellung chemisch analysieren lassen. Danach wiesen die Ketten einen Nickelanteil von 8,438% und 8,397% auf. Nach der Entscheidung des BGH komme es nicht darauf an, wie hoch der Nickelgehalt der Edelstahlketten war. Selbst wenn die Ketten lediglich Spuren von Nickel enthielten, würde die durch die beanstandete Werbung geweckte Erwartung der angesprochenen Verkehrskreise, von Nickel freien Schmuck zu erwerben, enttäuscht, so der BGH. Der BGH stellt dann noch klar, dass soweit den Ausführungen des Berufungsgerichts, die von der beklagten Schmuckhändlerin vertriebenen Ketten hätten auch nicht allenfalls gänzlich vernachlässigbare Spuren von Nickel enthalten, die Annahme des Berufungsgerichts zu entnehmen sein sollte, eine Werbung für „nickelfreie“ Ketten sei auch dann nicht irreführend, wenn die Ketten nur gänzlich zu vernachlässigende Spuren von Nickel enthielten, könne dem nicht zugestimmt werden. Diese Annahme wäre nicht mit der vom Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellten Verkehrserwartung zu vereinbaren, dass eine als „nickelfrei“ beworbene Kette frei von Nickel sei. Das Berufungsgericht habe dem Unterlassungsantrag, der auf ein Verbot der Bewerbung von Schmuckwaren mit „nickelfrei“ gerichtet ist, sofern diese nicht völlig frei von Nickel sind (vgl. Rn.15), daher mit Recht ohne Einschränkungen stattgegeben (BGH, aaO, Rnn. 36, 41).

IV. Abmahnung durch die bauer und partner rechtsanwälte gbr für die NB Technologie GmbH

Mir liegt die Abmahnung einer eBay-Händlerin durch die bauer und partner rechtsanwälte gbr für die NB Technologie GmbH vor, welche u.a. auf die vorliegende BGH-Entscheidung stützt.

In der mir vorliegenden Abmahnung heißt es, aus „gesichert dokumentierten Angeboten“ ergebe sich, dass meine Mandantin „ohne Vertragspartner/Lizenznehmer“ der NB Technologie GmbH zu sein oder gewesen zu sein, über eBay „eine Vielzahl von Edelstahlschmuckstücken“ anbiete und diese hierbei als „nickelfrei“ bewerbe. Dies sei wettbewerbswidrig. Selbst wenn diese Artikel „tatsächlich aus nickelfreiem Material bestanden hätten/bestehen würden“, liege eine Verletzung der Rechte der NB Technologie GmbH vor. Der vorliegende Fall stellt sich also letztlich so dar, dass die NB Technologie selbst im Unklaren darüber ist, ob und welche Rechtsverletzung hier vorliegen könnte. In der mir vorliegenden Abmahnung bleibt unklar, welcher Verstoß meiner Mandantschaft vorgeworfen wird. Ein Testkauf hat hier soweit ersichtlich nicht stattgefunden. Es lässt sich m.E.
gut die Auffassung vertreten, dass die Abmahner ihrer primären Darlegungslast in keiner Weise genügen.

In jedem Einzelfall sollte aber fachanwaltlich geprüft werden, ob die Abmahnung wegen Unbestimmtheit bzw. Widersprüchlichkeit zurückgewiesen werden kann bzw. sollte. Ggf. können auch Gegenansprüche geltend gemacht werden. Patentlösungen, die auf „alle Fälle“ passen gibt es nicht.

Auch aufgrund des hohen Streitwertes muss von Fall zu Fall sorgfältig entschieden werden, wie am besten vorzugehen ist. Zum Teil kann die Abgabe einer – modifizierten – Unterlassungserklärung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gleichwohl rechtsverbindlich in Fragen kommen, in anderen Fällen sollten Schutzschriften hinterlegt werden usw.

Für die konkrete Beratung im Einzelfall erreichen Sie Herrn Rechtsanwalt Dr. Jaeschke unter Telefon 0641 68681160 oder per E-Mail jaeschke@ipjaeschke.de .

UPDATE: Europäisches Patent-Nr. EP-B-2 209 924 widerrufen

Nachdem gegen das Europäisches Patent-Nr. EP-B-2 209 924, Anmeldenummer 09744035.8 vier Einsprüche wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit erhoben worden sind, hat das Europäische Patentamt in der mündlichen Verhandlung vom 04.11.2014 entschieden, dass das Patent widerrufen wird. Die Entscheidungsgründe liegen mir vor. Obgleich noch Beschwerde gegen die Entscheidung möglich ist, bietet der Widerruf weitere Anknüpfungspunkte für eine Verteidigung gegen Abmahnungen aus dem Patent. Da regelmäßig auch wettbewerbsrechtliche Ansprüche im Raum stehen sollten Abgemahnte aber weiterhin direkt nach Erhalt einer Abmahnung einen Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz mit der Prüfung des konkreten Falles beauftragen.   UPDATE 2: Mahnbescheid oder Klage erhalten ?

Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses

Dass von der Rechtsprechung an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses keine hohen Anforderungen gestellt werden wurde hier bereits berichtet. Erstaunlich ist jedoch, dass das LG Stuttgart anscheinend auch dann noch von einem Wettbewerbsverhältnis ausgehen würde, wenn das Patent der Klägerseite dauerhaft widerrufen würde. Die Rechtsanwälte bauer und partner haben in einem der von mir betreuten Fälle eine Verfügung des LG Stuttgart vom 14.01.15 (Az.: 11 O 225/14) aus einem anderen nicht von mir betreuten Verfahren teilgeschwärzt vorgelegt, wonach das LG ausführt:

„Die Frage, ob ein wirksames Patentrecht besteht, dürfte vorliegend nicht relevant sein. Unter Beachtung der Entscheidung des BGH vom 10.04.2014 (GRUR 2014, 1114 – nickelfrei, Rn. 33) dürfte entscheidend sein, ob die Klägerin ihr Know-how zur Herstellung von nickelfreiem Stahl entgeltlich zur Verfügung gestellt hat. Sofern dies zu bejahen ist, hat sich die Beklagte in Wettbewerb zur Klägerin gestellt. Denn auch in diesem Fall hängt der Absatzerfolg der Klägerin hinsichtlich der Verwertung ihres Know-hows vom Absatzerfolg der durch Überlassung des Know-hows hergestellten Produkte ab. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO ist daher nicht angezeigt.“

Insoweit wird die zukünftige Entwicklung abzuwarten sein. In jedem Fall ist aktuell zunächst zu unterstellen, dass zwischen der NB Technologie GmbH und abgemahnten Internet-Händlern ein konkretes Wettbewerbsverhältnis besteht, sofern diese Edelstahlschmuckwaren welche Nickel enthalten als „nickelfrei“ beworben haben.

Was tun, wenn ein Mahnbescheid kommt ?

Sofern Sie einen Mahnbescheid erhalten, sollte keine Zeit verloren werden, denn gegen einen Mahnbescheid kann nur innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung Widerspruch erhoben werden. Wenn diese Frist verpasst wird, ergeht ein Vollstreckungsbescheid. Besprechen Sie sich daher zeitnah nach Erhalt eines Mahnbescheides mit einem Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz um die Chancen und Risiken in Ihrem konkreten Fall zu erörtern. Denn auch wenn es in Internetforen anders klingen mag: „Patentlösungen“ die für jeden Fall passen kann es nicht geben. Es muss davon ausgegangen werden, dass eine nicht unerhebliche Anzahl der von der NB Technologie GmbH ausgesprochenen Abmahnungen vom LG Stuttgart zumindest dem Grunde nach (also nicht unbedingt auch der Höhe nach) als berechtigt angesehen werden können. Im konkreten Einzelfall bestehen aber ggf. auch gute Verteidigungschancen gegen die behaupteten Ansprüche der Gegenseite insgesamt, zumindest aber der Höhe nach.

Negative Feststellungsklage gegen NB Technologie

Dem Vernehmen nach wird in einem Fall eine sog. negative Feststellungsklage vor dem LG Bochum darauf gestützt, dass die vielen Abmahnungen rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 8 Abs. 4 UWG gewesen seien. Ein Missbrauch wäre ggf. dann zu bejahen, wenn die sich die Abmahntätigkeit verselbstständigt hätte, also in keinem vernünftigen Verhältnis zur gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden stünde und bei objektiver Betrachtung das Gebührenerzielungsinteresse im Vordergrund stünde. Dies wird in seltenen Fällen nachweisbar sein und ein dahingehendes Urteil hätte  keine automatische Bindungswirkung für andere Gerichte. Vom Grundsatz her dürfen massenhafte Rechtsverstöße auch massenhaft abgemahnt werden, daher ist die Einzelfallbetrachtung so wichtig. Immer wieder bieten Fälle gute Anknüpfungspunkte eine Haftung von Internethändlern abzulehnen.

Klage der NB Technologie GmbH erhalten ?

In einem mir vorliegenden Fall habe die Rechtsanwälte bauer und partner den im Mahnverfahren geltend gemachten Anspruch klageweise geltend gemacht. Die Kammer für Handelssachen am LG Stuttgart hat das persönliche Erscheinen der Beklagten angeordnet. Gefordert werden u.a. € 3.000,00 zzgl. Zinsen als Schadensersatz in Form fiktiver Lizenz und € 745,50 zzgl. Zinsen als Abmahnkostenerstattung. Die Gegenseite stützt die Schadensersatzforderung auf den sog. ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz aus § 4 Nr. 9 b) UWG. Danach handelt unlauter, wer Waren oder Dienstleistungen anbietet, die eine Nachahmung der Waren oder Dienstleistungen eines Mitbewerbers sind, wenn er die Wertschätzung der nachgeahmten Ware oder Dienstleistung unangemessen ausnutzt oder beeinträchtigt. Man darf Zweifel haben, ob das hier ins Feld geführte Patent überhaupt Gegenstand des lauterkeitsrechtlichen Nachahmungsschutzes sein kann. Nur Leistungsergebnisse mit sog. „wettbewerblicher Eigenart“ genießen grundsätzlich Nachahmungsschutz. Schon dies wird das Gericht kritisch zu würdigen haben. Daneben gibt es je nach konkretem Einzelfall eine Reihe von Verteidigungsmöglichkeiten gegen Ansprüche von NB Technologie.

Weiteres Vorgehen in „Ihrem“ Fall
Auch aufgrund der hohen und m.E. regelmäßig überhöhten Streitwerte muss von Fall zu Fall entschieden werden, wie vorgegangen werden sollte, auch abhängig vom Verfahrensstadium und der Vorgeschichte. In vielen Fällen erscheint eine erfolgreiche Verteidigung gegen eine Abmahnung oder Klage der NB Technologie möglich, besonders auch dann wenn nicht einmal ein Testkauf bei Ihnen durchgeführt wurde.

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